Deutschland. Ein Wintermärchen

Heinrich Heine möge mir verzeihen!

Wer kennt es nicht. „Deutschland. Ein Wintermärchen“ (1844) ist ein satirisches Versepos des deutschen Dichters Heinrich Heine (1797–1856). Den äußeren Rahmen dafür bildet eine Reise, die der Autor im Winter 1843 unternahm und die ihn von Paris nach Hamburg führte.

Die Situation in Deutschland ist derzeit ein riesiges Desaster, Chaos oder wie man es sonst noch nennen will. Ein politisches Narrenschiff schlingert durch stürmische Gewässer, während die Mannschaft sich in endlosen Streitereien verliert. Die Versprechungen der letzten Jahre wirken wie leere Floskeln, und der Kurs scheint immer unsicherer. Es ist, als wäre das Märchen von einst, das Heine mit scharfsinniger Feder und witziger Ironie schrieb, zur bitteren Realität geworden.

Doch wer sagt, dass wir nicht auch in dieser verfahrenen Zeit einen neuen, ebenso spöttischen Blick auf die Dinge werfen können?

Isabell Seifert - Ihre Lotsin im Nebel der Verwirrung

Deutschland. Ein Narrenschiff

Im düsteren Monat Dezember war’s,
Die Straßen glänzten hell,
Doch Strom gab’s nur noch für die Elite,
Die Normalen saßen im Dunkeln – schnell.

Und als ich an die Grenze kam,
Da hörte ich den Lärm,
Kein Jubel, sondern Zank und Streit,
Das Land in einem wilden Wahn.

Und als ich die Sprache vernahm,
Da überkam mich der Frust,
Denn jeder redete laut und viel,
Doch keiner wusste, was er tut.

Ein kleiner Mann sprach hoch und hehr
Von „Ordnung“ und „Gerechtsame“,
Mit einem Lächeln, das sich bald verzog,
Als er die Freiheit in Ketten legte.

Er sprach von hehren Tugenden,
Vom Klima, das uns quält,
Und von der Zukunft, die wir schulden
Mit einer Rechnung, die niemals fehlt.

Er sang das Lied der vielen Opfer,
Von Verzicht und kaltem Wind,
„Die Erde muss uns gehorchen“, rief er,
„Und der Mensch, der nimmt, was ihm nicht glimmt.“

Ich kenne dieses Lied, die Melodie,
Und auch die, die es verlesen,
Sie reisen in weißen, glänzenden Flugzeugen,
Während wir im Nebel vom Alltag fräsen.

Ein neues Lied, ein besseres Lied,
O Freunde, will ich euch dichten!
Wir wollen hier nicht mehr nur reden,
Wir wollen endlich handeln und nicht flüchten!

Das Schiff schlingert in stürmischen Zeiten,
Die Mannschaft zerstreut sich in Gruppen,
Der Käpt’n spricht von einem Ziel,
Doch der Kurs wird schon seit Jahren nur getäuscht.

Die Ruder gebrochen, der Mast steht schief,
Die Segel aus alten Lappen –
Doch über dem Bug weht ein Banner,
Das den Wahn des Fortschritts verspricht.

Die einen predigen den Regenbogen,
Wo jeder sich retten soll,
Doch der Weg dahin, so heilig, er führt
Über Köpfe und Wohlstand der vielen.

Die andern rufen nach Gerechtigkeit,
Doch die Mühlen mahlen zu schnell –
Und was sie nicht sagen: der wahre Preis
Wird stets auf den Schultern der Schwachen gestellt.

Und die letzten reden von Werten und Pflicht,
Von einer „neuen Ära“, die uns gehört,
Doch die einzige Sorge, die sie hegen,
Ist der Glanz der eigenen Flagge, die verwehrt.

Der Riese schläft, in seinen Träumen gold,
Doch der Kurs bleibt in Nebel gehüllt.
Die Banner wehen und die Trommeln hallen,
Doch keiner weiß mehr, wohin der Wind uns führt.

Und wenn das Narrenschiff sich dann senkt,
Das Wasser steigt und das Ende winkt,
Wird man betroffen die Köpfe senken
Und sagen: „Das haben wir nicht gewollt!“